Der Papst, die Schweizer Garde & ich

Sie dienen seit über 500 Jahren dem Willen der Päpste und gehören mit ihren Renaissance-Uniformen zum traditionellen Erscheinungsbild des Vatikan – die Rede ist hier von der Päpstlichen Schweizer Garde. Im Jahr 1512 wurde diesen für Mut und Treue bekannten Söldnern der Titel «Hüter der Freiheit der Kirche» verliehen und viele der ersten Gardisten, die geschworen hatten ihr Leben für den Heiligen Vater zu geben, stammten angeblich aus dem Wallis. 1506 gegründet, sollte die Leibwache ihre schwerste Stunde bereits zwanzig Jahre später erleben, während dem Saccou8 di Roma – oder Plünderung Roms – durch die Landsknechte Karls V. und anderen papstfeindlichen Söldnern.

147 der 189 Schweizer Recken verloren damals auf dem Petersplatz ihr Leben, ein Opfergang, dem die Garde an jedem 6. Mai mit einer Vereidigungs-Zeremonie gedenkt. 2006 war für die päpstliche Leibwache ein besonderes Jahr, denn es ging tatsächlich um ihr 500-jähriges Jubiläum. Und wenn die Me[1]dien den Papst heute als «Popstar unter den Katholiken» bezeichnen, dann ähnelte dieses Jubiläum durchaus einem Mega-Event. Die Zeitungen überboten sich mit Berichten. Nicht ohne Stolz vernahm Zerzuben Touristik den Ruf ins Team der Schweizer Organisatoren: Rund 3000 Schweizer zählten unter anderem auch auf unsere sacco, früherer Ausdruck für «Plünderung» Cars um im Mai 2006 zur Jubiläumsfeier zu fahren, – zweifellos eine grosse Ehre für uns, aber auch ein Wahnsinn an logistischer Vorbereitung, die sich über drei Jahre hingezogen hatte.

Man muss sich vorstellen, was es heisst, einmal wöchentlich mit dem Bischofssitz zu telefonieren oder mit Abgesandten der katholischen Kirche über «Prozessionsbüchlein» und dergleichen zu debattieren. Gelegentlich bekam ich schon Kopfschmerzen, wenn ich nur an den Tag der Abreise dachte. Ich wurde nervös, fast schon aufgekratzt; was dazu führte, dass ich noch mehr als sonst mit Zahlen jonglierte. Die Zeittabellen in meinem Kopf zogen jetzt oft wie numerische Kolonnen vorbei, die sich mal zu Pilgern, mal zu Schweizer Gardisten verklumpten, – und alle wollten von uns auf die eine oder andere Weise zufrieden gestellt sein.

Sicher, meine Frau Silvana hatte ganz recht: Ich war nicht allein. Unsere Fahrer hatten in mehr als drei Jahrzehnten jede Menge Erfahrung gesammelt. Rom, die Stadt auf den sieben Hügeln, war uns fast zu einer zweiten Heimat geworden. Wir hatten Besichtigungstouren für die Presse organisiert und nebenbei auch gute Freunde wie den Grafen von Moncada gewonnen. So manche Nacht hatten wir gemeinsam in Frascati bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Kein Grund sich plötzlich auszumalen, was alles schiefgehen konnte. Doch vielleicht lag es einfach am Ruf der Garde und dem strikten Regiment, was dort herrschte; selbst Verspätungen von nur zwei Minuten wurden in den unteren Rängen drakonisch geahndet. «Du machst dir Sorgen um nichts», meinte damals ein mit mir befreundeter Psychologe. «Bekanntlich werden während des unablässig Erinnerungen produziert. Das, was deine Kunden im Kopf mit nach Hause nehmen, bringt sie auch wieder zurück, nicht ob ein Bus mal zehn Minuten spät dran ist oder irgendein Anschluss nicht klappt. Das ist das letzte, worum es geht.» Da hatte er irgendwie recht.

Nur warum lag ich dann nächtelang wach und sah im Traum bunten Hellebardieren beim Exerzieren auf dem Petersplatz zu? Es schien eine mittelalterliche Szene zu sein, denn im Hintergrund wurde immer ein Mann zu einem Richtblock geführt – ein Mann der furchtbare Ähnlichkeit mit mir hatte, und dann, jedes Mal wenn der Kopf rollte, wachte ich auf... «Immer schön cool bleiben», riet auch Marco, mein Sohn. Und ja, er hatte ja recht: Auch die logistische Dimension des Unterfangens war uns bestens vertraut. Im «Heiligen Jahr» 2000 hatten wir schon einmal ein paar tausend Pilger nach Rom befördert, – einerseits eine wahre tour de force, doch stets auch eine fröhliche Angelegenheit, ein Fest des Lebens, und ich erinnere mich, einige der mitreisenden Damen hatten damals sogar mit unserem Bischof getanzt! Marco, zu diesem Zeitpunkt gerade mal 28, hatte sich auch zu bewähren gehabt: Ein Sprecher der Diözese hatte ihn gebeten ein «kleines Abendmahl» für ein «paar Geistliche» zu organisieren.

So weit, so gut. Wie sich erst später herausstellen sollte, hatte es sich dabei um Bischof Brunner, Kardinal Schwery, Generalvikar Zimmermann, Monsignore Salzmann, Pfarrer Sarbach und den Wallfahrtsdelegierten Lehner gehandelt... Nicht unbedingt die leichteste Kundschaft, wie man sich vorstellen kann, die kirchlichen Ränge und Bezeichnungen wollten auswendig gelernt werden, um ja kein Sakrileg zu riskieren. Auch war Marco vom Bischof instruiert worden, nur dann zu sprechen, wenn er gefragt werde – schliesslich gehöre er ja nicht zum Klerus. Eine eigenartige Bedingung, denn Marco war ja ebenfalls bei dem Nachtessen zu Gast.

Erstaunlicherweise hatte der heute emeritierte Kardinal, der in Rom lebte, weniger Berührungsängste gehabt. Marco hatte deshalb von einem «glatten Abend» gesprochen – das Selbstbewusstsein von dem Jungen müsste man haben... Tatsächlich ging mir genau dieser Gedanke durch den Kopf, während ich im Petersdom stand, wo die Schweizer Gäste ihre Messe feierten und nach all dem Hände-Schütteln, fiel mir schon gar nicht mehr auf, dass es Papst Benedikts Hand war, die ich hielt! Vor lauter Schreck hätte ich als ehemaliger Ministrant fast einen Knicks oder dergleichen gemacht, doch der kleine Mann, der sich selbst in seiner Antrittsrede einen «bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn» genannt hatte, richtete mich mit einem klaren Blick auf. Noch etwas benommen sah ich ihm nach wie er zwischen anderen Ehrengästen aus dem Wallis verschwand.

Man gibt einem Papst ja nicht alle Tage die Hand, und ich glaube für jeden Katholiken gibt es keine grössere Belohnung als einmal bei einer päpstlichen Audienz anwesend zu sein. Meine Nervosität war wie verflogen. Als ich später beim Abendessen von meiner Begegnung mit dem Papst erzählte und wahrscheinlich etwas ins Fabulieren geriet, da bemerkte ich mehr als einen spöttischen Blick. «Was?», fragte ich. «Darf man nicht mal mehr sagen, dass man dem Papst die Hand geschüttelt hat?» «Klar darfst du das», sagte einer unserer Fahrer salopp. «Aber dann solltest du auch wissen, so besonders ist das nicht: Die Eva Jung hat den Ratzinger sogar schon im Pyjama gesehen. Oder wie war das doch, Eva?» Zufällig sass unsere in Rom ansässige Reiseleiterin mit am Tisch und schmunzelte vor sich hin. Ja, sie habe einmal in einem Hotel am Petersplatz übernachtet. Kurz nach dem abendlichen Angelus-Läuten, sei sie noch kurz ans Fenster getreten, um die Läden zu schliessen. «Und da war er... der heilige Vater, ich habe ihn gleich erkannt.»

Offenbar lag das Arbeitszimmer des Papstes schräg gegenüber. Es war eine tropisch warme, römische Nacht und Eva war überrascht Benedikt noch immer in seiner Mozzettazu sehen. «Moment mal», fiel ich dazwischen, «eben hiess es doch noch, du hättest den Papst im Pyjama gesehen?» «Das stimmt auch», entgegnete Eva. Und nach einer wohlbemessenen Pause: «Ich war im Pyjama.» Era notte a Roma... Was gehört nicht alles zur vitalen Atmosphäre dieser faszinierenden Stadt? Und solange der Papst nicht im Kettenhemd boxt, ist mir im Grunde genommen jedes weitere Jubiläum recht, wenn es nur wieder mal Gelegenheit bietet die ewige Stadt am Tiber wiederzusehen!