Mit Samtpfötchen unterwegs oder: Nach der Musi geht's zum Schmusi

Ehrlich gesagt, der Mann war mir schon am Visper Bahnhof aufgefallen. Mit seinem weinroten Samtsakko wirkte er etwas zu gut gekleidet und er hatte eine junge Blondine da[1]bei, die er lautstark als seine Gattin vorstellte. Ihr Ringfinger war deutlich von einem zierlichen Diamantring geziert, doch ob es ein Ehering war, sah man dem Kleinod natürlich nicht an. «Es ist Schnuckis erstes Festival», meinte er jovial. «Ich war ja schon öfters mit von der Partie... Kinder, das wird eine Gaudi!» Das hört man als Reiseleiter natürlich gern, und doch hatte ich – als ich auf meinem Stuhl neben dem Fahrer Platz nahm – ein merkwürdiges Gefühl. – Hatte ich den Herrn nicht schon einmal vor kurzem mit einer anderen Dame gesehen? Dieses Samtsakko war mir in Erinnerung geblieben.

Die Türen schlossen sich in diesem Moment und los ging die Fahrt. Wie üblich herrschte eine gute Stimmung an Bord und doch ertappte ich mich gelegentlich dabei wie ich wegen diesem Sakko ins Grübeln geriet, – fast so als ob ich eine Vorahnung hätte. Es gibt Zerzuben-Festivals, die vergisst man nicht; sie gehen einem regelrecht nach, vielleicht weil etwas passierte, das sich beim besten Willen nicht vorhersagen liess. Wie viele Polonaisen wurden wohl schon von den Gästen getanzt, und doch nur einmal, als die Nater’sche Kapelle Zbinden am Klopeiner See aufgespielt hatte, marschierten alle hinaus aus dem Saal, über die Terrasse, mitten hinein in den Hotel-Swimmingpool – und auf der anderen Seite wieder hinaus. Dabei hatte es auch keine Rolle gespielt, dass die etwas Kleineren unter den werten Gästen, buchstäblich auf Tauchstation gingen. Der Anblick der klitschnassen, aber fröhlich juchzenden Bande, war so ein Anblick, den man nie wieder vergisst – weil es glimpflich abgelaufen war, das war es wohl.

«Sag mal, Carmelo...» Ich wusste nicht gleich wie ich es sagen sollte, aber unser Fahrer hatte schon kapiert. «Was denn? Ist irgendwas nicht in Ordnung?» «Nein, nein... Ich habe mich nur gefragt, dieser Mann da hinten – der in dem roten Samtsakko – hast du den schon mal gesehen?» Carmelo warf einen Blick über die Schulter. «Ja, kann schon sein», murmelte er. «Ich glaube, auf einem der letzten Festivals war er mal als Schotte verkleidet...» «Wie bitte?» «Ach, du weisst schon, – das sind diese Typen, die von Whiskey leben und in Röcken rumrennen, wenn man sie lässt...» «Schotten, du meinst Schotten, verstehe.» Ich kannte seinen Sinn für Humor und wusste wann es angebracht war, ein Auge zuzudrücken und wann nicht. «Mal unter uns, hast du den Herrn vielleicht schon mal mit einer anderen Begleitung gesehen? Normalerweise hast du doch ein Elefantengedächtnis und weisst genau, wer zu wem gehört, oder nicht?» Carmelo schielte noch einmal nach hinten. «Nein, der Mann, den ich meine, ist mit einer etwa gleichaltrigen Dame befreundet. Da siehst du mal, so kann man sich täuschen.»

Es geschah dann an der Raststätte Trofana im schönen Tirol, als sich meine Vorahnung konkretisierte. Eine mondän gekleidete Dame sprach mich aus heiterem Himmel an: Sie suche einen gewissen Herrn Soundso, wolle ihn überraschen... «Sie wollen ihn überraschen? Wie darf ich das denn verstehen?» Ich suchte auf meiner Liste nach dem Namen des Herrn und seinem Sitzplatz im Car. «Na, wie ich es sage.» Sie musterte mich durch ein betont kühles Brillengestell. «Er ist in Bus Nummer Eins. Vielleicht können Sie es einrichten, dass ich auf der Weiterfahrt neben ihm sitze. Ich bin seine Frau.» Und mit einem fast verruchten Augenaufschlag: «Der Ärmste! Als ich ihm sagte, dass ich dieses Jahr nicht mitkommen kann, da hat er Rotz und Wasser geheult... Aber was soll ich tun? Ich bin Prokuristin, ich kann nicht einfach die Kommandobrücke verlassen, wenn es mir passt. Andererseits war mein Samtpfötchen ja so was von erholungsbedürftig! Schweren Herzens liess ich ihn ziehen. Nun hat sich die Auftragslage doch noch entspannt, und hier bin ich...» Samtpfötchen, – hatte sie das gerade gesagt? In diesem Augenblick durchzuckte es mich wie ein fahler Blitz – sie musste die echte Herzensallerliebste des Mannes sein, der sich gerade in Begleitung jener Blondine befand, die er den Mitreisenden als seine Frau vorgestellt hatte. «Hören Sie...» Ich sah mich nun ebenfalls um. «Wie wär’s wenn Sie Ihrem Mann eine kleine Vorwarnung geben?» «Vorwarnung? Wozu?» «Ich meine, rufen Sie ihn an. Zur Sicherheit. Man weiss ja nie, manche Leute haben schon vor Überraschungsfreude einen Herzschlag bekommen.» «Aber... wenn ich das tue, ist es keine Überraschung mehr, oder?» «Und ob es das ist», versicherte ich ihr, «und was für eine, gnädige Frau! Wir sollten nur dafür sorgen, dass Ihr Mann die Überraschung auch überlebt. Es soll Überraschungen geben, die so überraschend sind, dass man fast von einem Schock sprechen könnte...» Sie wirkte etwas pikiert, doch dann erhellten sich ihre Züge.

«Ah, da ist er ja! Machen Sie bitte kein Aufsehen, ich werde mich anschleichen und ihn von hinten umarmen...» – Was in etwa einer Nackendusche mit eiskaltem Wasser entsprach! Ich hielt es für meine Pflicht als Reiseleiter der sich anpirschenden Dame in gebührenden Abstand zu folgen. Wir näherten uns also dem Herrn, der – einen Arm locker um die Schultern der Blondine gelegt – mit einem anderen Gast scherzte. Er drehte in diesem Moment zufällig den Kopf, sah erst mich – und dann seine Frau. Mir schien sein Gesicht wurde erst weiss, dann rot und zwar so intensiv, dass sein Sakko plötzlich wie ein verwaschenes Himbeerrosa aussah. Auch seine Holde hatte in diesem Moment scharf kombiniert.

Sie betrachtete die Begleiterin ihres Mannes wie ein erfahrener Versicherungsagent die hässliche Schramme an einem sehr teuren Wagen. «Willst du mir die Dirne nicht vorstellen?», sagte sie in die Stille hinein. Erstaunlich, der «Fremdgänger» ging gleich auf Konfrontation. Vielleicht wusste er aus Erfahrung, dass in so einem Fall, Angriff die beste Verteidigung ist: Die Blondine sei doch nur eine Arbeitskollegin und für sie – sie, die Allerliebste auf der Welt – eingesprungen. Weiter nichts. «Für mich... eingesprungen?» Wenn Blicke töten könnten, der Mann wäre wohl wie vom Blitzschlag getroffen zu Boden gestürzt. Stattdessen legte er ungeniert nach. «Du hast mir doch nicht etwa nachspioniert? Raus mit der Sprache...» Er habe ihre altmodischen Eifersüchteleien ja so was von satt. «Betrügen – was heisst denn das überhaupt? – Lächerlich!» Der erste Schritt zur Umwertung ihrer Beziehung war somit vollzogen und die düpierte Prokuristin fuhr ihrem Samtpfötchen mehr oder weniger grob übers Schnäuzchen. Auch die blonde Nebenbuhlerin bekam einiges ab. «So jung wie Sie sind, dass Sie sich nicht schämen! Dieser alte Wüstling könnte Ihr Vater sein, aber das ist Ihnen offenbar gleich!»

 Der Gast, mit dem sich der Mann gerade noch ausgetauscht hatte – ja, eigentlich alle Gäste in unmittelbarer Nähe, zogen es vor unauffällig das Weite zu suchen. Nur ich stand noch auf meinem Posten, um mich im Fall von unüberlegten Handgreiflichkeiten todesmutig dazwischen zu werfen. «Das ist wirklich impertinent», schluchzte die Blonde und tippelte auf und davon. Ich konnte sehen, ihr Eyeliner hatte bereits unter den Tränen gelitten. Ihr ertappter Begleiter schien aber inzwischen wieder Herr der Lage zu sein. Ich bewunderte irgendwo seinen Mut, die souveräne Art, mit der er sich ständig selbst widersprach; nicht einmal auf das Gegenteil seiner Aussagen war demnach Verlass. «Versteh doch, Bärli, sie hat sich von selbst eingeladen, weil du ja nicht konntest...» Irgendwann wurde es seiner echten Freundin zu dumm und sie stieg einfach in einen Bus. Der Sitzplatz war ihr offenbar gleich.

Nun sind amouröse Begebenheiten auf Carreisen nicht ganz so aussergewöhnlich wie man vielleicht denkt und mir wurden von Fahrern schon Geschichten erzählt, die mit Sicherheit nicht jugendfrei sind. Was man fast schon einen Klassiker nennen kann, ist der Um[1]stand, dass regelmässig Leute verschwinden: Sie tauchen für ein paar Tage ab und später heisst es dann, sie hätten da jemanden kennengelernt. Als wäre nichts gewesen, sitzen sie dann wieder eines Abends am Tisch oder steigen auf den letzten Drücker in den abfahrenden Car. Ein Gast trieb es sogar einmal so bunt, dass wir die Münchner Polizei einschalten mussten. Nach einer Stadtrundfahrt galt er als verschollen, die Disponenten rasten mehrere Tage zwischen Hotel und Polizeirevier hin und her. Später erhielten sie dann den diskreten Hinweis, der Gast – ein alleinstehender Herr und echter Vorzeige-Katholik – habe diese Nummer in München schon mehrfach durchgezogen: Offenbar kannte er eine gute Adresse im Rotlichtmilieu und liess sich dort die Nächte verschönern. Vielleicht weil es ihm selbst peinlich war, hatte er das Buspersonal nicht über seine geplanten Abenteuer in der bayrischen Landeshauptstadt informiert.

Wie es nun unserem Samtpfötchen in Seefeld erging? Das Abendessen des Trios schien noch eine etwas angespannte Affäre zu sein – der «Glückspilz» in der Mitte, rechts die echte Freundin, links die falsche Freundin, alle drei sittsam die Blicke gesenkt, als wüssten sie, dass der ganze Saal wüsste. Und natürlich wusste er das, doch die Musik, die bald aufgespielt wurde, hinderte nicht nur die Leute daran zu tuscheln, sondern auch das Trio daran Trübsal zu blasen.

Um Mitternacht tanzten sie bereits zu dritt mitten unter den anderen Gästen, da sage einer die Menschen aus dem Oberwallis seien nicht tolerant.